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Als das Jahr 1814 eingeläutet wurde, war Norwegen ein Landesteil des absolutistisch regierten Doppelstaates Dänemark- Norwegen, am Ende des Jahres eine selbständige Nation mit Parlament und Verfassung.
Was geschah im Laufe dieses Jahres, das in norwegischen Geschichtsbüchern auch als “ Wunderjahr “ bezeichnet wird?
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Der Auftakt zum Jahr 1814 liegt im Eintritt Dänemark- Norwegens in den europäischen Krieg auf Seiten Napoleons im Jahre 1808 . England antwortete umgehend mit einer Küstenblockade. Diese Unterbrechung der traditionellen Handelswege zog empfindliche ökonomische Einbussen nach sich. Der Fortfall der Einfuhren führte zu Warenknappheit und Hungernot. Englische Patrullienschiffe machten Jagd auf Schmuggler, die vielfach erst nach Jahren ihre Heimat wiedersahen. Bis heute sprechen die Kinder an der südnorwegischen Küste vom “ manevar “ , einer Art ” Schwarzem Mann ”. Der Ausdruck ist die Adaption des Begriffes ” Man of War ”, wie zur Zeit Napoleons die Kriegsschiffe im Englischen bezeichnet wurden. In der Literatur ist diese Zeit durch Ibsens Epos Terje Vigen präsent, sicher inspiriert von Berichten und Erzählungen, die Ibsen wärend seiner Apotherkerlehre in einem kleinen Städtchenan an der Küste gehört hatte.
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In dieser Situation, in der die Lojalität zu Kopenhagen Brüche bekam, wurde der dänische Prinz Christian Fredrik als Stadthalter nach Norwegen entsandt. Christian Fredrik sollte die ” Bergaffen ” wieder auf Linie bringen und die Einheit des Reiches waren.
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Die Ereignisse auf dem Kontinent änderten Christian Fredriks Mission jedoch grundlegend . Am 13. Oktober 1813 waren Napoleon und seine Verbündeten bei Leipzig besiegt worden. Als Folge davon wurde Dänemark auf dem Frieden von Kiel gezwungen, Norwegen an Schweden abzutreten, dass sich unter dem Einfluss des 1810 zum Kronprinz ernannten früherern französischen Marschalls Jean-Baptiste Bernadotte, dem späteren König Karl XIV Johann, auf die Seite der Gegner Napoleons geschlagen hatte. Als die Nachricht, das Land solle wie ein blosses Grundstück den Besitzer wechseln, Norwegen erreichte, verstärkten sich die Tendenzen, die eine volle Unabhängigkeit wollten. Christian Fredrik bekam Sympathie für die norwegischen Souveränitätsbestrebungen. Für den 16. Februar 1814 ordnete er Wahlen zu einer “ Reichsversammlung “ an, die ein Grundgesetz ausarbeiten und einen König wählen sollte. Im Zuge dieser Abstimmung, die die erste freie Wahl der norwegischen Geschichte darstellte, wurden 112 Deputierte bestimmt, die am 10. April auf dem Gutshofe Eidsvoll , etwa 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt Christiania ( Oslo )zusammentrafen. Die 112 Deputierten repräsentierten alle Stände unf fast sämtliche Landesteile, nur Nordnorwegen war nicht vertreten, die Anreise war bei der für die damaligen Verhältnisse kurzen zeitlichen Frist nicht zu bewältigen.
Sowohl die ” Eidsvollmänner ”, wie die Deputierten hier genannt werden, als auch Christian Fredrik wussten, dass Karl Johann nicht nur willens , sondern auch in der Lage war, seine Ansprüche millitärisch durchzusetzen, andererseits war durchgesickert, dass England bei den Schweden zugunsten Norwegens interveniert habe. Es galt also vollendete Tatsachen zu schaffen, so ist sicher zu erklären, dass die Arbeit am neuen Grundgesetz nach nur sechs Wochen abgeschlossen war. Am 17. Mai wurde das Grundgesetz von der Reichsversammlung angenommen , das Land für unabhängig erklärt und Christian Fredrik zum König gewählt. Nach einer ergebnisslosen diplomatischen Intervention der Sieger von Leipzig zugunsten Schwedens, kam es am 27. Juli 1814 zum schwedischen Angriff auf Norwegen. Am 14. August kapitulierte Norwegen, wärend den Friedensverhandlungen gelang es Christian Fredrik jedoch den Fortbestand der Verfassung zu retten. Norwegen war nun an Teil einer Union mit Schweden. Das Wort ” Unabhängigkeit “ in der Verfassungsversion vom 17. Mai wurde durch “ Selbständigkeit “ ersetzt. In inneren Belangen war das Land souverän, festgschrieben waren ein gemeinsamer König, sowie ein gemeinsamer Aussenminister, der in Stockholm bestimmt wurde. Nicht zuletzt hier lag bereits der Anlass für die Auflösung der Union im Jahr 1905 begründet. Auf Dauer wurde es schwierig, Freihandel einerseits und Schutzzölle andereseits durch eine gemeinsame Aussenpolitik zu vertreten.
Christian Fredrick dankte im Oktober 1814 ab . Er begab sich auf eine Bildungsreise duch Europa, in deren Verlauf er die Numismatik entdeckte. Seine Sammlung, die heute vom Nationamuseum in Kopenhagen verwaltet wird, umfasste bei seinem Tod 4200 griechische und 1800 römische Münzen. 1839 bestieg er als Christian VIII den dänischen Thron. Ein neues Grundgesetz initiierte er nicht wieder , vielmehr regierte er als letzter Monarch absolutistisch, erst nach seinem Tod im Frühjahr 1848 fanden in Dänemark demokratische Reformen statt, einen echten Parlamentarismus gab es jedoch , wie in Schweden, erst nach dem ersten Weltkrieg.
So hatte nun Norwegen durch die grosspolitischen Umstände und die Initiative wichtiger Schlüsselpersonen in kurzer Zeit eine der modernsten Verfassungen der Welt bekommen. Wahlrecht, Pressefreiheit, sowie der Schutz vor staatlicher Willkür waren für jeden Bürger selbverständlich. Wunderlich mutet dem heutigen Leser der Originalversion das Recht der Baueren auf freies Schnapsbrennen an, hier spricht der Agrarstaat , der eine starke Bauernlobby besass. Erheiternd wirkt heute der Umstand , dass der Vorschlag, die Pflicht zur Ertüchtigung im Skilaufen in der Verfassung zu verankern,nicht angenommen wurde. Leibesübungen per Dekret, dass klingt nach ganz anderen Staatsformen.
Für Konflikte sorgte von Anfang an der zweite Paragraph. Er lautete in der Fassung vom 17.Mai 1814:
”Die evangelisch – lutherische Kirche ist die offizielle Religion des Staates. Diejenigen, die sich zu ihr bekennen, sind verpflichtet, ihre Kinder in derselben zu unterweisen. Jesuiten und Mönchsorden werden nicht geduldet. Juden ist der Zutritt zum Reich verwehrt. ”
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Mit diesen Bestimmungen führten die Eidsvollmänner , in einem Versuch,konservative Kreise von einer Obstruktion der Verfassungsarbeit abzubringen , die Gesetzgebung Christian IV fort, der so eine Gegenreformation verhindern wollte. Im beginnenden 19. Jahrhunderts, in der sich die Judenemanzipation durchzusetzen begann, wirkten diese Formulierungen jedoch anachronistisch. Führende Denker , allen voran der Dichter Christian Wergeland, liefen Sturm gegen den ” Judenparagraphen ”. 1849 wurde der Satz gestrichen, 1895 fiel das Verbot der Mönchsorden. Der Jesuitenbann verschwand 1959 stillschweigend im Zuge einer Gesetzesrevision, 2012 wurden auch die Reste des Paragrapen aufgehoben, als Staat und Kirche getrennt wurden.
Von Anfang an erfreute sich das Grundgesetz grosser Beliebtheit, seit 1827 wird der 17. Mai als Verfassungstag jährlich gefeiert, wobei bereits damals besonders die Kinder im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Wer heute Schulkinder hat, ist den ganzen Tag über stramm eingebunden, angefangen mit dem Kinderumzug am Vormittag , bis zum Schulfest am Nachmittag. Anbei ein paar Bilder aus Wikipedia , man bemerke, dass es keine einzige Mlitärparade gibt, in Frankreich wäre das unvorstellbar : klick.
Was geschah im Laufe dieses Jahres, das in norwegischen Geschichtsbüchern auch als “ Wunderjahr “ bezeichnet wird?
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Der Auftakt zum Jahr 1814 liegt im Eintritt Dänemark- Norwegens in den europäischen Krieg auf Seiten Napoleons im Jahre 1808 . England antwortete umgehend mit einer Küstenblockade. Diese Unterbrechung der traditionellen Handelswege zog empfindliche ökonomische Einbussen nach sich. Der Fortfall der Einfuhren führte zu Warenknappheit und Hungernot. Englische Patrullienschiffe machten Jagd auf Schmuggler, die vielfach erst nach Jahren ihre Heimat wiedersahen. Bis heute sprechen die Kinder an der südnorwegischen Küste vom “ manevar “ , einer Art ” Schwarzem Mann ”. Der Ausdruck ist die Adaption des Begriffes ” Man of War ”, wie zur Zeit Napoleons die Kriegsschiffe im Englischen bezeichnet wurden. In der Literatur ist diese Zeit durch Ibsens Epos Terje Vigen präsent, sicher inspiriert von Berichten und Erzählungen, die Ibsen wärend seiner Apotherkerlehre in einem kleinen Städtchenan an der Küste gehört hatte.
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In dieser Situation, in der die Lojalität zu Kopenhagen Brüche bekam, wurde der dänische Prinz Christian Fredrik als Stadthalter nach Norwegen entsandt. Christian Fredrik sollte die ” Bergaffen ” wieder auf Linie bringen und die Einheit des Reiches waren.
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Die Ereignisse auf dem Kontinent änderten Christian Fredriks Mission jedoch grundlegend . Am 13. Oktober 1813 waren Napoleon und seine Verbündeten bei Leipzig besiegt worden. Als Folge davon wurde Dänemark auf dem Frieden von Kiel gezwungen, Norwegen an Schweden abzutreten, dass sich unter dem Einfluss des 1810 zum Kronprinz ernannten früherern französischen Marschalls Jean-Baptiste Bernadotte, dem späteren König Karl XIV Johann, auf die Seite der Gegner Napoleons geschlagen hatte. Als die Nachricht, das Land solle wie ein blosses Grundstück den Besitzer wechseln, Norwegen erreichte, verstärkten sich die Tendenzen, die eine volle Unabhängigkeit wollten. Christian Fredrik bekam Sympathie für die norwegischen Souveränitätsbestrebungen. Für den 16. Februar 1814 ordnete er Wahlen zu einer “ Reichsversammlung “ an, die ein Grundgesetz ausarbeiten und einen König wählen sollte. Im Zuge dieser Abstimmung, die die erste freie Wahl der norwegischen Geschichte darstellte, wurden 112 Deputierte bestimmt, die am 10. April auf dem Gutshofe Eidsvoll , etwa 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt Christiania ( Oslo )zusammentrafen. Die 112 Deputierten repräsentierten alle Stände unf fast sämtliche Landesteile, nur Nordnorwegen war nicht vertreten, die Anreise war bei der für die damaligen Verhältnisse kurzen zeitlichen Frist nicht zu bewältigen.
Sowohl die ” Eidsvollmänner ”, wie die Deputierten hier genannt werden, als auch Christian Fredrik wussten, dass Karl Johann nicht nur willens , sondern auch in der Lage war, seine Ansprüche millitärisch durchzusetzen, andererseits war durchgesickert, dass England bei den Schweden zugunsten Norwegens interveniert habe. Es galt also vollendete Tatsachen zu schaffen, so ist sicher zu erklären, dass die Arbeit am neuen Grundgesetz nach nur sechs Wochen abgeschlossen war. Am 17. Mai wurde das Grundgesetz von der Reichsversammlung angenommen , das Land für unabhängig erklärt und Christian Fredrik zum König gewählt. Nach einer ergebnisslosen diplomatischen Intervention der Sieger von Leipzig zugunsten Schwedens, kam es am 27. Juli 1814 zum schwedischen Angriff auf Norwegen. Am 14. August kapitulierte Norwegen, wärend den Friedensverhandlungen gelang es Christian Fredrik jedoch den Fortbestand der Verfassung zu retten. Norwegen war nun an Teil einer Union mit Schweden. Das Wort ” Unabhängigkeit “ in der Verfassungsversion vom 17. Mai wurde durch “ Selbständigkeit “ ersetzt. In inneren Belangen war das Land souverän, festgschrieben waren ein gemeinsamer König, sowie ein gemeinsamer Aussenminister, der in Stockholm bestimmt wurde. Nicht zuletzt hier lag bereits der Anlass für die Auflösung der Union im Jahr 1905 begründet. Auf Dauer wurde es schwierig, Freihandel einerseits und Schutzzölle andereseits durch eine gemeinsame Aussenpolitik zu vertreten.
Christian Fredrick dankte im Oktober 1814 ab . Er begab sich auf eine Bildungsreise duch Europa, in deren Verlauf er die Numismatik entdeckte. Seine Sammlung, die heute vom Nationamuseum in Kopenhagen verwaltet wird, umfasste bei seinem Tod 4200 griechische und 1800 römische Münzen. 1839 bestieg er als Christian VIII den dänischen Thron. Ein neues Grundgesetz initiierte er nicht wieder , vielmehr regierte er als letzter Monarch absolutistisch, erst nach seinem Tod im Frühjahr 1848 fanden in Dänemark demokratische Reformen statt, einen echten Parlamentarismus gab es jedoch , wie in Schweden, erst nach dem ersten Weltkrieg.
So hatte nun Norwegen durch die grosspolitischen Umstände und die Initiative wichtiger Schlüsselpersonen in kurzer Zeit eine der modernsten Verfassungen der Welt bekommen. Wahlrecht, Pressefreiheit, sowie der Schutz vor staatlicher Willkür waren für jeden Bürger selbverständlich. Wunderlich mutet dem heutigen Leser der Originalversion das Recht der Baueren auf freies Schnapsbrennen an, hier spricht der Agrarstaat , der eine starke Bauernlobby besass. Erheiternd wirkt heute der Umstand , dass der Vorschlag, die Pflicht zur Ertüchtigung im Skilaufen in der Verfassung zu verankern,nicht angenommen wurde. Leibesübungen per Dekret, dass klingt nach ganz anderen Staatsformen.
Für Konflikte sorgte von Anfang an der zweite Paragraph. Er lautete in der Fassung vom 17.Mai 1814:
”Die evangelisch – lutherische Kirche ist die offizielle Religion des Staates. Diejenigen, die sich zu ihr bekennen, sind verpflichtet, ihre Kinder in derselben zu unterweisen. Jesuiten und Mönchsorden werden nicht geduldet. Juden ist der Zutritt zum Reich verwehrt. ”
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Mit diesen Bestimmungen führten die Eidsvollmänner , in einem Versuch,konservative Kreise von einer Obstruktion der Verfassungsarbeit abzubringen , die Gesetzgebung Christian IV fort, der so eine Gegenreformation verhindern wollte. Im beginnenden 19. Jahrhunderts, in der sich die Judenemanzipation durchzusetzen begann, wirkten diese Formulierungen jedoch anachronistisch. Führende Denker , allen voran der Dichter Christian Wergeland, liefen Sturm gegen den ” Judenparagraphen ”. 1849 wurde der Satz gestrichen, 1895 fiel das Verbot der Mönchsorden. Der Jesuitenbann verschwand 1959 stillschweigend im Zuge einer Gesetzesrevision, 2012 wurden auch die Reste des Paragrapen aufgehoben, als Staat und Kirche getrennt wurden.
Von Anfang an erfreute sich das Grundgesetz grosser Beliebtheit, seit 1827 wird der 17. Mai als Verfassungstag jährlich gefeiert, wobei bereits damals besonders die Kinder im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Wer heute Schulkinder hat, ist den ganzen Tag über stramm eingebunden, angefangen mit dem Kinderumzug am Vormittag , bis zum Schulfest am Nachmittag. Anbei ein paar Bilder aus Wikipedia , man bemerke, dass es keine einzige Mlitärparade gibt, in Frankreich wäre das unvorstellbar : klick.
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