Der Holodomor in der Ukraine

B555andi

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Hallo Zusammen,

in der Rubrik „Münzen und Geschichte“ führen die Weltmünzen ein eher stiefmütterliches Dasein. Ich habe mich daher entschlossen, Euch heute eine Gedenkmünze aus der Ukraine vorzustellen.

Die Münze aus dem Jahr 2007 ist dem Thema Holodomor (1932/1933) gewidmet. Der Begriff setzt sich aus den ukrainischen Wörtern holod=Hunger und mor=Tod zusammen. Was es damit auf sich hat, möchte ich Euch mit dem folgenden Artikel näher bringen:

Der heutige Staat Ukraine kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken. Bereits im 8. Jahrhundert bestand auf dem heutigen Staatsgebiet mit dem so genannten Kiewer Rus ein Reich, welches jedoch im 13. Jahrhundert zu weiten Teilen von den Mongolen unterworfen wurde. Der Teil des Kiewer Rus, der heute zur Ukraine zählt, wurde schließlich von Litauen erobert und kam über die Republik Polen-Litauen ab dem 16. Jahrhundert in den Herrschaftsbereich Polens. Im 17. Jahrhundert übernahm dann das Russische Zarenreich große Gebiete der Ukraine. 1917 gelang den Ukrainern eine zunächst erfolgreiche Revolution gegen das Zarenreich. 1921 wurde die Ukraine allerdings in einem blutigen Krieg von der Roten Armee unterworfen. Mit Gründung der Sowjetunion 1922 wurde die Ukraine zur „Ukrainischen SSR“ (Sozialistische Sowjetrepublik).

Zu dieser Zeit galt die Ukraine, deren Bewohner damals als "Kleinrussen" bezeichnet wurden, aufgrund der überaus fruchtbaren Ackerböden zunächst als die Kornkammer der Sowjetunion.

Als Stalin in den Jahren 1932 und 1933 die Landwirtschaft zwangsweise kollektivieren ließ, kam es in den zumeist ländlich geprägten Gebieten der Sowjetunion im Anschluss an Missernten zu großen Hungersnöten. In der Ukraine und anderen Teilrepubliken regte sich zudem seitens der Bauern starker Widerstand gegen die Zwangskollektivierung.

Über die Gründe, die letztendlich zur als Holodomor bezeichneten Hungerkatastrophe in der Ukraine geführt haben, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Seitens der früheren Sowjetunion wurde der Holodomor als alleinige Folge von Missernten gedeutet, deren Auswirkungen durch den Widerstand der Bauern verschlimmert wurden. Die moderne Geschichtswissenschaft zeichnet jedoch (auch nach Öffnung vieler staatlicher Archive) ein differenzierteres Bild:

So wurden offenbar die durch Ernteausfälle hervorgerufenen Hungersnöte durch Zwangsrequirierungen absichtlich verschlimmert, um den Widerstand der bäuerlichen Bevölkerung gegen die Kollektivierung zu brechen und die noch bestehenden nationalen Freiheitsbewegungen zu schwächen.

Ausreisen aus den Hungergebieten wurden von der Kommunistischen Partei ebenso verhindert wie die Versorgung der Hungernden von außen.

In der Ukraine zwangsweise requirierte Lebensmittel wurden auf Stalins Befehl in anderen Teilrepubliken zu günstigen Preisen verkauft. In der Zeit des Holodomor exportierte die Sowjetunion große Getreidemengen ins Ausland, anstatt sie der hungernden und sterbenden Bevölkerung zukommen zu lassen.

Die aufgezählten Fakten können das Leid der Bevölkerung in keiner Weise wider geben. Die verhungernden Menschen aßen in ihrer Not die grünen Blätter von Büschen und Bäumen, um zu überleben. In der Ukraine fielen dem Holodomor schätzungsweise 3,5 Millionen Menschen zum Opfer. In der gesamten Sowjetunion sollen es in den beiden Jahren 1932/1933 bis zu 14,5 Millionen Menschen gewesen sein, die der Hungerkatastrophe zum Opfer fielen.

Neben der vorgestellten Münze habe ich zwei Fotos aus jener Zeit beigefügt, die das Leid der Bevölkerung, insbesondere der Kinder, anschaulich werden lässt. Mit dem Stichwort Holodomor können über Google weitere Bildzeugnisse gefunden werden.

Die seit 1991 unabhängige Ukraine versucht seit Jahren, dass der Holodomor als Genozid (Völkermord) am ukrainischen Volk international anerkannt wird. Dieser Auffassung sind bisher 22 Staaten gefolgt. Die BRD ist nicht darunter. Das Europäische Parlament hat den Holodomor im Jahr 2008 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Die Parlamentarische Versammlung des Europäischen Parlaments lehnte 2010 den Begriff Genozid jedoch ab.

Nun zur Münze an sich, die Ihr unten abgebildet seht. Ich habe die Münze zwar in meinem Besitz, bin jedoch bei Weitem kein guter Münzfotograf, so dass ich mit freundlicher Genehmigung von Vakaris, dem Besitzer des litauischen Münzshops Ehobbex, dessen Foto der Münze verwende. Der shop ist im Übrigen ausschließlich auf osteuropäische Münzen spezialisiert (und aus meiner Sicht empfehlenswert).

Die gezeigte Münze im Wert von 5 Hryvnia aus dem Jahr 2007 wurde in einer Auflage von 75.000 Exemplaren geprägt. Sie hat einen Durchmesser von 35mm und wiegt 16,54 Gramm. Bestehen tut sie laut der ukrainischen Nationalbank aus German Silver - bei uns bekannt als Neusilber, eine unedle Legierung aus Kupfer, Nickel und Zink. Die Münze wurde von der Prägestätte künstlich patiniert. Sie kostet aktuell je nach Anbieter zwischen 4 und 12 Euro.

Es gibt noch eine Variante in 925er Silber mit einem Nominalwert von 20 Hryvnia. Diese misst stolze 50mm im Durchmesser, wiegt 62,2 Gramm und wurde mit einer Auflage von maximal 10.000 Exemplaren geprägt. Sie ist entsprechend teurer in der Anschaffung.

Auf der Wertseite der Münze ist ein kleines Mädchen mit verzweifeltem Blick abgebildet, das ein paar Ähren in den Armen hält und auf einem Stoppelacker steht. Links und rechts von ihr sind Viburnum (Schneeball) Sträucher zu sehen.

Die Bildseite zeigt vor einem aus Kerzen bestehenden Hintergrund ein Kreuz, in das ein ausgemergelter Storch eingebettet (bzw. wie in einem Sarg beerdigt) ist. Die Umschrift lautet übersetzt: Holodomor - Völkermord am ukrainischen Volk 1932/1933 Erinnert Euch!
 

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Hallo Andreas, mir ist die Münze bekannt und ich muss sagen, dass sie extrem gelungen ist (wenn man das vor diesem Hintergrund überhaupt so beschreiben darf). Vor dem Hintergrund deines tollen Beitrages betrachtet man diese Münze aus einem anderen Winkel, nicht mehr nur als schönes Stück! Der wörtlich genommene Begriff "Gedenkmünze" bekommt so einen Sinn, der auch beim Betrachten des Stückes zum Nachdenken anregt... !!!
Dank Dir...
 
Hallo Kay,

auch mir ist die Münze zunächst wegen der ungewöhnlichen Gestaltung und dem Motiv aufgefallen.

Auf der Seite der ukrainischen Nationalbank habe ich dann zum ersten Mal den Begriff Holodomor gelesen und mich ein wenig in das Thema "eingearbeitet".

Von Hungersnöten in Russland zur Zeit der Zwangskollektivierungen hatte ich zwar in der Schule gehört und (meine ich) bei Solschenizyn gelesen; aber es ist doch etwas anderes, sich selbst um eine Thematik zu bemühen und der Geschichte, die eine Gedenkmünze erzählt, nachzuspüren.....
 
Auch noch interessant ist, dass der derzeitige russische Präsident Medwedew im November 2008 zu einer Gedenkveranstaltung zu diesem "Völkermord" eingeladen wurde.
Selbstverständlich wurde diese Einladung abgelehnt, die Ukraine hat auch sicher nicht im Ernst an eine Teilnahme Russlands überhaupt nachgedacht, aber ein bissl sticheln geht ja immer mal :)

Interessant war die diplomatische Reaktion/Begründung der Absage: "Der russische Präsident Dmitri Medwedew lehnt die Einladung ab, da diese dazu diene, das "ukrainische Volk dem Russischen zu entfremden"."


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Interessant war die diplomatische Reaktion/Begründung der Absage: "Der russische Präsident Dmitri Medwedew lehnt die Einladung ab, da diese dazu diene, das "ukrainische Volk dem Russischen zu entfremden"." </p></p></p>

Wie war noch gleich die Redewendung: Alter Wein in Neuen Schläuchen.... :rolleyes:
 
Ein sehr bewegender Beitrag. Dieses sollte nie vergessen werden!

Bei allem Leid, sollte man aber auch durch das Aufeinanderzugehen der beteiligten Seiten einen Blick in die Zukunft wagen und gemeinsam etwas dafür tun, damit dieses nie wieder geschehen kann. Wenn auch die Narben bleiben, eine Wunde kann heilen.

epareiner
 
In der Ukraine fielen dem Holodomor schätzungsweise 3,5 Millionen Menschen zum Opfer. In der gesamten Sowjetunion sollen es in den beiden Jahren 1932/1933 bis zu 14,5 Millionen Menschen gewesen sein, die der Hungerkatastrophe zum Opfer fielen.
Hier muss man noch einen wichtigen Punkt ergänzen: Viele der außerhalb des Gebietes der Ukrainischen SSR verhungerten Menschen waren ebenfalls Ukrainer, was natürlich dann als "Außerhalb waren es ja vielmehr Tote" eiskalt der ru**ischen Geschichtsverdrehung in die Hände spielt (die Krim die Lenin ebenfalls geraubt hatte zählt ja in dem Zusammenhang auch als "außerhalb").
Das Ziel Stalins war ein Völkermord und eine Entvölkerung insbesondere auch östlich des Donbass, wo ebenfalls Millionen von Ukrainern auf fruchtbaren Böden voller Bodenschätze bis fast hin zum Kaspischen Meer gelebt haben, um dann dort eine ru**ifizierung durchzuführen.
Man darf nicht vergessen, dass das Ukrainische Staatsgebiet nach dem Versailler Vertrag deutlich größer war als heute und z.B. die ganze Region Rostow am Don und das gesamte Asowsche Meer beinhaltet hat, und selbst außerhalb dieser Grenzen liegende Gebiete wie Belgorod und andere benachbarte Regionen teilweise auch 30-60% Ukrainischstämmige Bevölkerung hatten. Nach 1933 gabe es dort dann dort aufgrund Hunger und Deportationen so gut wie keine ethnischen Ukrainer mehr, aber viele neue Siedler.
D.h. fast alle Opfer des Holodomor bzw. der Hungersnot in den 30er Jahren waren Ukrainer, nicht nur die vielfach zitierten 3,5 Mio.
 
Danke, @B555andi, für die Erinnerung an diesen älteren Thread, der zur Zeit nicht aktueller sein könnte.

Damals Ermordung durch Hungerkatastrophen, heute durch Zerstörung der überlebenswichtigen Infrastruktur ...
 
Auch noch interessant ist, dass der derzeitige russische Präsident Medwedew im November 2008 zu einer Gedenkveranstaltung zu diesem "Völkermord" eingeladen wurde.
Selbstverständlich wurde diese Einladung abgelehnt, die Ukraine hat auch sicher nicht im Ernst an eine Teilnahme Russlands überhaupt nachgedacht, aber ein bissl sticheln geht ja immer mal :)

Interessant war die diplomatische Reaktion/Begründung der Absage: "Der russische Präsident Dmitri Medwedew lehnt die Einladung ab, da diese dazu diene, das "ukrainische Volk dem Russischen zu entfremden"."


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Plötzlich passt Vieles ins Bild, was zuvor undifferenziert erschien.
 
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