Der Karlsruher Münzskandal - Der Versuch einer Zusammenfassung

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Der Karlsruher Münzskandal


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Die Karlsruher Münze im Jahr des "Skandals" 1975. Foto: StadtAK 8/PBS oXIVa 2365


Vorabanmerkungen


Aus allen mir vorliegenden (teilweise sich widersrechenden) Berichten meiner Recherche der Jahre 2012 – 2015 und dem von unserem Numisfreund diwitat zur Verfügung gestelltem Material fasse ich jetzt mal zusammen, was von Ende der 60er bis 1974 in dem Weinbrenner-Bau in der Stephanienstraße wohl passiert ist. Da ich kein Zeitzeuge bin (1970 war ich fünf Jahre alt), beschränkt sich meine Recherche auf Zeitzeugenberichte, Zeitungsberichte und andere Publikationen dazu. Warum habe ich mir ab 2012 die Mühe gemacht, mich damit zu befassen ?

Weil ich dieses Thema bis heute spannend finde, und auch einige dieser Nachprägungen schon sichten durfte. Warum veröffentliche ich das erst jetzt ? Ich hatte 2012 ff den Anspruch, das exakt und ausführlich darzustellen, dazu fehlen mir aber einfach mehr detaillierte Berichte und deshalb möchte ich die sicherlich lückenhafte Darstellung nun zur Ergänzung durch Andere hier im Forum veröffentlichen. Ausserdem habe ich in Zeiten von Corona nun mal Zeit dafür.

Ich bin mir sicher, dass es viele Zeitzeugen, Münzsammler und andere Personen gibt, die hier ergänzen, korrigieren oder detaillieren können.

Das alles kann gerne im Stile von Wikipedia ablaufen – es kann ergänzt und korrigiert werden – wenn am Ende ein möglichst detailgenauer und umfassender Bericht daraus wird, bin ich dankbar für jede Information. Ich fordere ausdrücklich alle Wissenden hier im Forum auf, meinen Bericht zu vervollständigen bzw, zu korrigieren, wo ich Falschangaben gemacht habe.


Historie

Eigentlich gab es auch zu der Zeit des Karlsruher Münzskandals Vorschriften des Bundesfinanzministeriums zur Vermeidung von Betrug in den Münzprägestätten. Das Ministerium hatte die Menge an Material der Rohlinge vorgeschrieben, die jede Münzprägestätte benötigte, allerdings wurden die Rohlinge nicht gezählt, sondern gewogen. Die Messungenauigkeit konnte bei einer 300 Stück Lieferung allerdings +/- 1 sein, so dass bei einer Komplettanlieferung von 15.000 Stück bis zu 50 Rohlinge abgezweigt werden konnten, ohne das dies zwangsläufig auffiel.

Willy Ott wurde 1964 zum neuen Leiter der Karlsruher Münze bestimmt. Ende der 1960er Jahre fragte er einen Angestellten der Bundesbank, ob beim Münzmuseum Interesse an Spiegelglanz-Münzen der vergangenen Jahre bestünde. Dieser bejahte das nicht ahnend, dass Ott das Nachprägen der Münzen ohne die notwendige Auftragserteilung durch das Bundesfinanzministeriums plante. Ott selbst gab den Auftrag an den Münzfacharbeiter Klaus Fetzner für die Nachprägung aller Münzen der Jahrgänge 1949 bis 1968, die je in Karlsruhe produziert worden waren.

(die einzelnen Stückzahlen siehe Anlage hat diwidat geliefert, allerdings gibt es auch wieder Berichte, die diese offiziellen polizeilich ermittelnden Zahlen anzweifeln und von höheren Prägezahlen ausgehen)

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Zusammen mit seinem Stellvertreter Stefan Heiling holte er die alten Prägestempel aus dem Tresor, für den nur sie den Schlüssel besaßen. Bei den Zwei-Pfennig-Münzen mit Datum von 1967 verwendeten sie Rohlinge mit einem Eisenkern, die erst ab 1968 offiziell eingesetzt wurden. Diese Zwei-Pfennig-Münzen mit dem Prägedatum 1967 sind deswegen eine Rarität. Da das Münzmuseum die Nachprägungen nie abgerufen hat, verschlossen sie diese in einem Tresor. Anfang der 1970er Jahre begannen die drei Beteiligten dann, die "vergessenen" Münzen in Sammlerkreisen zu verkaufen.

Heiling beauftragte zudem 1971 Fetzner, fehlende Münzen nachzuprägen und alle Jahrgänge bis 1973 aufzustocken, die begehrten Sammlermünzen sollte er vermehrt nachprägen. Auch dieses Mal fehlte der offizielle Auftrag des Bundesfinanzministeriums. Bei der Nachprägung unterliefen Fetzner aber Fehler, die den Dreien später zum Verhängnis wurden. Er verwendete für die Wertseite zwar die Originalstempel, für die Bildseite aber Prägestempel, die es erst seit 1971 gegeben hatte. Für den Rand verwendete er sogar Werkzeuge, die erst seit dem Jahre 1973 verwendet worden waren. Fetzner prägte besagte Münzen während seiner Arbeitszeit und brachte sie 1973 zu seinem Vorgesetzten Heiling, der sich bei einer Münzleitertagung vergewisserte, dass an besagten Münzen im Münzmuseum kein Interesse mehr bestünde. Ott, Heiling und Fetzner hatten nun die Sicherheit, sich die in Vergessenheit geratenen Münzen aneignen zu können, und teilten diese unter sich auf. Im darauf folgenden Jahr verkauften sie einen Teil ihrer Münzen, wobei ihnen klar sein musste, dass sie illegale Nachprägungen mit einem hohen Sammlerwert "versilberten", die dem staatlichen Einziehungsrecht unterlagen.

Weitere illegale Nachprägungen entstanden 1974. Willy Ott traf in diesem Jahr bei der Münzleitertagung den Regierungsdirektor des Bundesfinanzministeriums, der für die Vergabe der Prägeaufträge zuständig war. Dieser erzählte Ott von seiner unvollständigen Sammlung deutscher Kursmünzen - darunter die besagten Zwei- und Fünfzig-Pfennig-Münzen - und fragte, ob davon noch Exemplare in Karlsruhe vorhanden seien. Ott verstand die Frage so, dass er zum Auffüllen der privaten Sammlung auch Münzen nachprägen dürfe, obwohl der Regierungsdirektor juristisch nicht befugt war, entsprechende Aufträge zu erteilen. Er gab den vermeintlichen Auftrag an Heiling weiter. Dieser wollte das Verhältnis zu seinem Vorgesetzten nicht gefährden und beauftragte, obwohl er sich des Unrechts bewusst war, F. mit der Ausführung der Nachprägungen. Ott verkaufte die Münzen zu den darauf stehenden Werten an den Regierungsdirektor des Bundesfinanzministeriums und einen weiteren Vorgesetzten. Die Käufer waren arglos.

Ursprünglich wollte Ott mit den Nachprägungen gute Beziehungen zu seinen Vorgesetzten herstellen, die ihm sehr wichtig war, da er fürchtete, dass die Karlsruher Münze der Stuttgarter Münze untergeordnet oder sogar ganz geschlossen werden könnte, wodurch er unter Umständen seine Arbeit verloren hätte. Allerdings dürfte bei den Dreien als Motiv bald die unproblematische private Bereicherung vorherrschend gewesen sein. Heiling finanzierte mit dem erworbenen Geld die Hochzeit seiner Tochter und unterstützte Angehörige finanziell, einen Teil sparte er. F. benötigte das Geld für den Bau seines Hauses.

Aus der Betrugsgeschichte wird der Münzskandal

Als dem Münzexperten Philipp Kaplan nach seiner Einschätzung viel zu häufig von Münzsammlern Prägungen der Nachkriegszeit zur Begutachtung vorgelegt wurden, wuchs sein Misstrauen. Er schickte Anfang November 1974 deshalb einen Satz Kursmünzen des Jahrgangs 1967 zur Begutachtung an einen Bekannten in der Bundesbank Frankfurt. Kurz darauf bekam Kaplan die Antwort, dass die von ihm eingeschickten Münzen zwar "echt" seien. Es handele sich aber um Nachprägungen, was aufgrund der verwendeten Werkzeugkombination eindeutig feststehe. Um die eingeleiteten Ermittlungen nicht zu behindern, bat man ihn ausdrücklich, bis zum Abschluss der Untersuchungen über den Vorfall zu schweigen.

Ende 1974 ermittelte die Aufsichtsbehörde der Bundesbank nur innerhalb der Karlsruher Münze und stellte Ott und Heiling, die alleine Zugang zum Tresor mit allen Prägestempeln hatten, zur Rede. Nach zwei Monaten, inzwischen konnten natürlich Beweisstücke beseitigt werden, informierte man endlich auch die Staatsanwaltschaft, die sofort mit den Ermittlungen begann. Dabei kam zu Tage, dass innerhalb der vergangenen sechs Jahre mindestens 1.700 falsche Münzen im Wert von 500.000 DM durch die drei Mitarbeiter der Karlsruher Münze auf dem Sammlermarkt in Umlauf gebracht worden waren. Die genau Zahl der Nachprägungen konnte nicht ermittelt werden.

Nach dem Bekanntwerden der illegalen Nachprägungen in der Karlsruher Münze gab es zunächst kaum öffentliche Reaktionen. Das lag vor allem daran, dass die "falschen" Münzen nur für Sammler von Interesse waren. Bei diesen rief der Fall allerdings sofort Empörung hervor. Als die Medien jedoch das Potenzial für eine Skandalisierung des Betrugsfalls witterten, stiegen sie verstärkt in die Berichterstattung ein. Deren Spektrum reichte von absoluter Empörung bis zu völliger Gleichgültigkeit. Während des Prozesses stellte ein Teil der Medien die Angeklagten quasi an den Pranger und in der Öffentlichkeit entstand - beeinflusst durch die hohe Medienpräsenz - der Eindruck, der Fall sei schockierend. Der Gerichtssaal war daher auch immer gut gefüllt. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass ohne die mediale Aufmerksamkeit für den Betrugsfall und dessen Aufbereitung als Skandal, durch den im Grunde nur Sammler geschädigt wurden, sich die Bevölkerung nur mäßig für den Fall interessiert hätte.


Das Urteil und seine Konsequenzen

1976 standen die drei Angeklagten in erster Instanz wegen Falschmünzerei vor dem Karlsruher Landgericht. Die Anklage beantragte Freiheitsstrafen von drei bis vier Jahren, die Verteidiger plädierten auf Freispruch mit dem Argument, Geld, das in einer Staatlichen Münze geprägt wurde, könne kein Falschgeld sein. Das Gericht folgte dieser Argumentation und verurteilte die Angeklagten nur wegen Betrugs und Diebstahls zu Freiheitsstrafen auf Bewährung. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Der Bundesgerichtshof überprüfte den Fall und kam zu dem Beschluss, dass ohne gültigen Prägeauftrag hergestelltes Geld Falschgeld sei. In zweiter Instanz verurteilte das Gericht F. wegen Diebstahls sowie Ott und Heiling wegen Geldfälscherei wiederum zu Freiheitsstrafen auf Bewährung. F. wurde 1975 fristlos entlassen, Ott und Heiling wurden ihres Dienstes enthoben, erhielten aber weiterhin die Hälfte ihres Gehalts.

Durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs war nun eindeutig festgelegt, dass eine Münze nur als echt gilt, wenn sie in einer Staatlichen Münze mit offiziellem Prägeauftrag des Bundesfinanzministeriums hergestellt wird. Die illegal nachgeprägten Münzen wurden, soweit sie überhaupt auffindbar waren, eingezogen. Heute werden frisch geprägte Münzen aus Karlsruhe und anderen Prägestätten von der Bundesbank abgeholt und in Umlauf gebracht. Zuvor wird deren genaue Stückzahl dank moderner Technik nicht gewogen, sondern genau abgezählt. In der Karlsruher Münze selbst sind die Kontrollen viel strenger geworden. Es ist im Vergleich zu damals verboten, Münzgeld in die Münze mitzunehmen, was mit Metalldetektoren kontrolliert wird. Als interne Währung wurde Plastikgeld eingeführt. Außerdem sind heute zwei Personen zum Aufschließen des Tresors notwendig. Privatpersonen oder Firmen ist das Prägenlassen von Münzen oder Medaillen etwa für Jubiläen nur mit Genehmigung des Bundes und auch nur dann erlaubt, wenn man das Original von der Nachprägung unterscheiden kann. Heute erinnern sich sogar Münzsammler kaum noch an den Vorfall, von einem Skandal spricht man in diesem Fall so gut wie überhaupt nicht mehr.

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Der Text basiert auf meinen Recherchen zu diesem Thema, unter anderem einem Beitrag einer Projektgruppe des Bismarck-Gymnasiums zum Schülerwettbewerb Geschichte des Bundespräsidenten 2011. Der Autorengruppe gehörten an: Petra Cernoch, Dario Dornauer, Leopold Dodd, Maria Möslang, Judith Scherr, Adelheid Wibel.


Weiterhin aus eigenen Schlussfolgerungen unter Zuhilfenahme von Original Dokumenten, erhalten von „Diwidat“ aus unserem Münzforum, der zu dieser Zeit Vizepräsident eines Münzvereines war, und diese Dokumente (und andere, welche er nicht veröffentlichen kann) von Herbert Rüttmann persönlich zur Verfügung gestellt bekommen hat.

ANLAGEN:

  1. Original Urteil (eingebunden)

  2. Festgestellte Menge an unerlaubten Nachprägungen je Nominal (eingebunden)

  3. Originale Zeitungsberichte aus den 70ern:
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Uuuuiih, da werden aber manche Sammler nun ihre wertvollen Schätze noch sicherer verschließen … und nie wieder zeigen können! :eek:

Danke für die interessante Lektüre!
 
Vielen Dank für die Zusammenfassung.
Mein Respekt für die Arbeit welche du investiert hast. Man kann sowas nicht genug loben. Wirklich klasse. Auch wenn die Geschichte doch relativ bekannt ist, ist deine Arbeit sehr sinnvoll und zeigt sehr sehr gut die Fakten.
Dankeschön
 
Sehr lesenswert ;-) vielen lieben Dank für Deine Arbeit!
 
Freut mich, das die alte Geschichte doch noch gerne gelesen wird :)
 
Klasse Beitrag, bisher hatte ich den Karlsruher Münzskandal lediglich mit dem 50 Pfennig Stück verfolgt!
 
Finde es auch super, danke! "Karlsruher Münzskandal" war mir zwar ein Begriff, aber das habe ich auch immer mit der unerlaubten Nachprägung der 50 Pf. 1950 BDL in Verbindung gebracht. Viele der Informationen waren mir bisher noch nicht bekannt.
 
Mmh, momentan sind drei unterschiedliche 1 DM 1959G in PP alleine bei ebay gelistet zum Verkauf, eine davon ist PCGS-gerated.

20 Stück soll es offiziell geben, 20 wurden damals mindestens nachgeprägt. Vom Bauchgefühl her würde ich sagen, dass da wohl auch heutzutage noch einiges im Umlauf ist, was nach 1970 in Karlsruhe illegal geprägt wurde....
 
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