Die Kipper-und-Wipper-Zeit

jeggy

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Die Berliner Kipper-Münz-Prägung von 1621

Gustav Freytag hat in den „Bildern aus der deutschen Vergangenheit" die Wirren der Kipper-und-Wipper-Zeit lebendig geschildert. „Von allen Schrecken des beginnenden Krieges erschien dem Volke selbst keiner so unheimlich, als eine plötzliche Entwertung des Geldes. Für die Phantasie des leidenden Geschlechts wurde das Übel um so ärger, weil es in die trübe Stimmung der Jahre scheinbar plötzlich einfiel, weil es überall die gehässigsten Leidenschaften aufwühlte und Unfrieden in den Familien, Hass und Empörung zwischen Gläubiger und Schuldner, Hunger, Armut, Bettelhaftigkeit und Entsittlichung zurückließ. Es machte ehrsame Bürger zu Spielern, Trunkenbolden und Trossknechten, jagte Prediger und Schullehrer aus ihren Ämtern, brachte wohlhabende Familien an den Bettelstab, stürzte alles Regiment in heillose Verwirrung und bedrohte in einem dichtbevölkerten Lande die Bewohner der Städte mit dem Hungertode.

Es war das dritte Jahr der Kriegsunruhen. ... Im August 1621 sah der Bauer auf eine mittelmäßige Ernte; in Handel und Verkehr waren einige Stockungen eingetreten, aber auch ein erhöhter Eifer, wie bei starken Rüstungen natürlich ist, und die männliche Jugend wurde durch das wilde Treiben der Kriegsmänner noch mehr gelockert als eingeschüchtert. Allerdings war schon seit längerer Zeit an dem Gelde, welches im Lande umging, Ungewöhnliches bemerkt worden. Des guten schweren Reichsgeldes wurde immer weniger, an seiner Statt war viel neue Münze von schlechtem Gepräge und rötlichem Aussehen im Umlauf. Noch befremdlicher fiel auf, dass die fremden Waren fortwährend in Preise stiegen. Man empfand eine konstante Teuerung. Wer ein Patengeschenk machen wollte oder fremde Kaufleute bezahlen musste, der zahlte für die alten feinen Joachimstaler ein immer wachsendes Agio (Aufgeld). Aber im Lokalverkehr zwischen Stadt und Land wurde das zahlreiche neue Geld ohne Anstand genommen, ja es wurde mit erhöhtem Schwünge umgesetzt. Die Masse des Volkes merkte nicht, daß die verschiedenartigen Münzen, mit denen es zu bezahlen pflegte, ihm unter der Hand wertloses Blech geworden waren; die Klügeren aber, welche das Sachverhältnis ahnten, wurden zum großen Teil Mitschuldige an dem unredlichen Wucher der Fürsten. . . . Bevor hier versucht wird, ein Bild der Kipper- und Wipperjahre zu geben, sind einige Bemerkungen über das Geldprägen jener Zeit unvermeidlich.

Alle technische Fertigkeit war in alter Zeit mit Würde, Geheimnis und einem Apparat von Formeln umgeben. Nichts ist bezeichnender für die Eigentümlichkeit der germanischen Natur, als ihre Virtuosität, auch die einförmigste Handarbeit durch eine Fülle von gemütlichen Zutaten zu adeln. Und sobald das Gemüt durch die herzliche Freude am Schaffen erregt wurde, war auch die Phantasie des Handwerkers mit Bildern und Symbolen beschäftigt, und behend hatte er sein ,Wissen' zu einer hohen, ja heiligen Sache gemacht. — Was allen Handwerkern des Mittelalters zukam, das war der Kunst, Münzen zu schlagen, in besonderem Grade eigen. Das Gefühl der eigenen Wichtigkeit war in dem Münzer ungewöhnlich stark, die Arbeit selbst, das Behandeln edler Metalle im Feuer, galt für besonders vornehm, die unverstandenen chemischen Prozesse, welche durch die Alchemie mit einem Wust von phantastischen Bildern umgeben waren, imponierten den Arbeitenden mehr, als unser Jahrhundert der rationellen Fabriktätigkeit begreift.

Dazu kam das Verantwortliche des Dienstes. Wenn der Münzer die silbernen Probiergewichte aus der schönen Kapsel hervorholte und die kleinen Näpfchen der Eicheln auf die kunstvoll gearbeitete Probierwaage setzte, um das Probierkorn darin abzuwägen, so tat er dies mit einem entschiedenen Bewusstsein von Überlegenheit über seine Mitbürger. Und wenn er die Silberprobe in der ,Capelle' vom Blei reinigte und das fließende Silber zuerst mit zarten Regenbogenfarben überlaufen wurde, dann der bunte Überzug zerriss und wie ein Blitz der helle Silberschein durch die geschmolzene Masse fuhr, so erfüllte ihn dieser , Silberblick' mit einem ehrfurchtsvollen Erstaunen, und er fühlte sich mitten in dem geheimnisvollen Schaffen der Naturgeister, die er fürchtete und durch die Kunst seines Handwerks, so weit dessen Vorschrift reichte, doch beherrschen konnte. Es war demnach in der Ordnung, dass die Münzer eine geschlossene Korporation bildeten mit Meistern, Gesellen und Lehrlingen und dass sie eifersüchtig auf ihre Privilegien hielten. Wer des heiligen römischen Reiches Münze prägen wollte, mußte zuerst seine freie eheliche Geburt erweisen, vier ihre niedrige Dienste tun, in dieser Zeit nach altem Brauch eine Narrenkappe tragen, sich für Unrecht und Ungeschick streichen und strafen lassen; dann erst wurde er zur Münzarbeit selbst zugelassen und als Münzgesell des Reiches in die Brüderschaft aufgenommen. Aber diese strenge Ordnung, welche von Kaiser Maximilian II. noch im Jahre 1571 den Münzgesellen bestätigt wurde, vermochte schon damals nicht zu bewirken, daß in der Corporation ehrlich und fromm gearbeitet wurde. Ebenso wenig bewirkten dies die Kontrollbestimmungen, welche auf Reichstagen und durch die Landesherren gefaßt wurden. . . Es gab zuverlässige Landesherren und treue Münzbeamte auch damals im Lande; aber ihre Anzahl war gering, und häufig war das Verhältnis des Münzmeisters, welcher von einem deutschen Kreise für tüchtig befunden war und in einer gesetzlichen Münze arbeitete, doch eine Tätigkeit voll befremdlicher Praktiken. Die Kontrolle war bei dem unvollkommenen Münzverfahren schwierig, die Versuchung groß, die Moralität im Allgemeinen viel niedriger als jetzt. . . . Der Münzmeister aber, welcher nicht in der bequemen Lage des Löwen war, durch einen einzigen Schlag mit der Tatze seine Beute zu sichern, pflegte in unaufhörlicher Industrie seinen Münzherrn, die Lieferanten, ja sogar seinen Kassierer, die Gesellen und Jungen zu bevorteilen, vom Publikum ganz zu schweigen. ... — Das gewöhnliche Geschäftsverfahren war folgendes:

Der Münzmeister kaufte das Metall ein, bestritt die Kosten des Prägens und zahlte für jede Mark Kölnisch, welche er schlug, dem Landesherrn noch einen Schlagschatz, welcher, wie es scheint, für gewöhnlich vier gute Groschen betrug. Er mußte aber das feine Silber teuer bezahlen, die Löhne und die Zutaten stiegen fortwährend im Preise. Da half er sich. Wenn er dem Münzherrn wöchentlich für tausend bis zweitausend Mark den Schlagschatz zahlte, so verschwieg er ihm fünfzig Mark, die er außerdem geprägt hatte, und behielt den Schlagschatz derselben für sich; er prägte ferner scharf, d.h., er machte das Geld am Silbergehalt um einen halben Grän schlechter, als es sein sollte (was gesetzlich noch erlaubt war), er schlug je hundert Mark am Gewicht um etwa vier Lot zu leicht, was von niemandem gemerkt wurde, und wenn er wusste, dass das Geld sogleich in entfernte Gegenden, besonders nach Polen verführt werden sollte, so brach er an Gewicht noch dreister ab.

Nicht sauberer war der Verkehr mit den Lieferanten, welche ihm das Metall herbeischafften . . . Außer den approbierten Münzern aber gab es in den meisten der zehn Kreise noch andere von leichterem Gewissen und kühnerer Tätigkeit. Nicht gerade Falschmünzer in unserem Sinne, obgleich auch dergleichen Privatindustrie mit großer Rücksichtslosigkeit betrieben wurde. Es waren Münzer im Dienst eines Kreisstandes, welcher das Recht zu prägen hatte; dieser Standesherren und Städte waren aber zur Zeit sehr viele, und allen lag ihr Münzrecht am Herzen, weil es Einnahme brachte. Deshalb wurde von ihnen auch gegen die Reichsbeschlüsse, welche die Pflicht auferlegten, das Geld in der approbierten Kreismünze prägen zu lassen, auf ihrem eigenen Territorium kräftig gemünzt. Zuweilen verpachteten sie ihr Münzrecht gegen eine Jahresrente, ja sie verkauften ihre Münzstätte an andere Herren, sogar an Spekulanten. Dergleichen unregelmäßige Prägstellen wurden ,Heckenmünzen' genannt. Und in ihnen fand eine systematische Korruption des Geldes statt. . . . Auf Reichstagen und Kreisversammlungen hatte man seit siebenzig Jahren gegen die Heckenmünzen donnernde Dekrete erlassen, aber ohne Erfolg. Ja, seit Einführung des guten Reichsgeldes waren sie häufiger und arbeitsamer geworden, denn seit der Zeit lohnte ihre Arbeit besser.

So war es schon vor dem Jahre 1618. Die kleinen wie die großen Landesherren brauchten Geld und wieder Geld. Da fingen einige Reichsfürsten an, die Arbeiten der verrufensten Heckenmünzen zu übertreffen. Sie ließen statt von Silber in einer schlechten Mischung von Silber und Kupfer schwere und leichte Landesmünze schlagen. Bald wurde versilbertes Kupfer daraus. . . . Wie eine Pest griff diese Entdeckung, Geld ohne große Kosten zu machen, um sich. ... Es begann ein tolles Geldmachen. . . . Die Nation, ohnedies auf geregt, geriet zuletzt in einen wilden Taumel. Überall schien Gelegenheit, ohne Arbeit reich zu werden. Alle Welt legte sich auf Geldhandel. . . . Auch zum Schuldenmachen war man sehr bereit, denn überall wurde Geld zu günstigen Bedingungen angeboten und überall konnte man Geschäfte damit machen. Deshalb wurden von allen Seiten große Verpflichtungen übernommen. — So trieb das Volk in starker Strömung zum Verderben. Aber es kam die Gegenströmung, zuerst leise, dann immer stärker. ... Die Unzufriedenheit griff weiter. . . . Endlich gerieten die Städte, die Landesherren selbst in Bestürzung. Sie hatten gern das neue Geld ausgegeben, und viele von ihnen hatten es maßlos gemünzt. Jetzt aber bekamen sie bei allen Steuern und Abgaben auch nur schlechtes Geld wieder ein, für hundert Pfund Silber jetzt hundert Pfund versilbertes Kupfer, während auch für sie alles teurer geworden war und ein Teil ihrer Ausgaben durchaus in gutem Silber gemacht werden musste. Da versuchten die Regierungen sich durch neue Unredlichkeiten zu helfen. Sie hatten erst das gute Reichsgeld durch einen Zwangskurs nieder zu halten gesucht, jetzt setzten sie plötzlich den Wert ihres eigenen Geldes herab, wieder mit Zwangskurs und Strafdrohung für alle, die ihm weniger Wert gönnen würden.

Aber das falsche Geld sank doch unaufhaltsam unter den verordneten Wert. Da verboten einzelne Regierungen ihr eigenes Landesgeld, das sie eben erst gemünzt hatten, für Steuern und Abgaben. Sie selbst weigerten sich wieder zu nehmen, was sie in den letzten Jahren geprägt hatten. Jetzt erst merkte das Volk die ganze Gefahr seiner Lage. Ein allgemeiner Sturm gegen das neue Geld brach los. Es sank auch im Tagesverkehr bis auf ein Zehntel seines nominellen Wertes. Die neuen Heckenmünzen wurden als Nester des Teufels verschrien, die Münzer und ihre Agenten, die Geldwechsler und wer sonst aus dem Geldhandel Geschäft gemacht, wurden Gegenstände des allgemeinen Abscheus.

Damals wurde in Deutschland für sie die Volksbezeichnung Kipper und Wipper allgemein. Die Wörter kamen von den Niedersachsen: kippen sowohl auf der Geldwaage betrügerisch wiegen als auch Geld beschneiden, und wippen das schwere Geld von der Waagschale werfen. Man sang Spottlieder auf sie. In dem Rufe der Wachtel glaubte man ihren Namen zu hören, und der Pöbel schrie: ,kippediwipp' hinter ihnen her. . . . An vielen Orten rottete sich das Volk zusammen und stürmte ihre Wohnungen. . ." Wie in anderen brandenburgischen Städten nahm man auch in Berlin an der Prägung dieser unterwertigen Münzen teil, wenn auch nur kurze Zeit.25 Geprägt wurden zunächst die nachstehend abgebildeten einseitigen Pfennige und Scherfe (halbe Pfennige) aus reinem Kupfer.
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Abb. 24
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Der Pfennig als Gemeinschaftsprägung von Berlin und Kölln gibt im Perlkreis zwei Wappen wieder, links den Berliner Bären (für Berlin), rechts den brandenburgischen Adler (für Kölln), darunter die Jahreszahl 1621. Die Berliner Scherfe zeigen in einem Perlkreis den Berliner Bären in einem ovalen mit zwei Henkeln versehenen Schilde, darunter die Jahreszahl 1621, hingegen steht bei den Köllner Scherfen die Jahreszahl 1621 über dem in einem Wappenschild befindlichen brandenburgischen Adler. 16 Kupferpfennige gingen auf 1 Groschen. Besonders unterwertig waren die in Kölln 1622 bis 1623 hergestellten Kippermünzen (ohne Jahreszahl und Münzmeisterzeichen) zu 1, 3 und 6 Groschen. Diese Groschen waren nur ein Drittel soviel wert, wie es der Reichsfuß vorschrieb.

Ein Berliner Augenarzt, Wolfgang Schmidt, gab ebenfalls eine schlechte Groschenmünze heraus, und bald liefen neben den eigenen viele schlechte fremde Münzen in der Stadt um. Dieses Geld verlor schnell seine Funktion als Zirkulationsmittel, es wurde wertlos, niemand wollte es mehr annehmen und schon gar nicht Waren dafür verkaufen. Die Bevölkerung murrte nicht nur, es gab Aufruhr, Läden wurden gestürmt. Die öffentliche Meinung begann sich in Flugblättern und Zeitungen mitzuteilen. Die Inflation erreichte ihren Höhepunkt, als selbst die Behörden sich weigerten, ihr eigenes schlechtes Geld anzunehmen. Es erfolgte eine Münzherabsetzung und schließlich das gänzliche Verbot der Kippermünzen. Dem Ratsherren und Münzmeister Lippert Müller wurde wegen der in der kurfürstlichen Münze geprägten schlechten Münze und „seines" dabei erzielten Gewinns ein Kriminalverfahren angehängt. Aber die Untersuchungen waren langwierig und auch wohl mehr zur Beruhigung der Öffentlichkeit bestimmt. Das laufende Verfahren blieb in der Schwebe, bis 1630 der Kurfürst eine Begnadigung aussprach. Bereits vom Jahre 1623 an begann sich die Verbesserung der Münze bemerkbar zu machen. 1666 wurde die städtische Münze in Berlin geschlossen, wenn auch der Stadt das Privileg noch 100 Jahre lang bestätigt wurde.

Quelle:
Heinz Fengler "700 Jahre Münzprägung in Berlin"
VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften - Berlin 1975
 

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Es begann ein tolles Geldmachen. . . . Die Nation, ohnedies aufgeregt, geriet zuletzt in einen wilden Taumel. Überall schien Gelegenheit, ohne Arbeit reich zu werden. Alle Welt legte sich auf Geldhandel. . . . Auch zum Schuldenmachen war man sehr bereit, denn überall wurde Geld zu günstigen Bedingungen angeboten und überall konnte man Geschäfte damit machen.
Nun habe ich ja auch "Raise and Fall" des Neuen Marktes mit erlebt und bin gottseidank davon nicht betoffen worden.
Da es so etwas 375 Jahre vorher schon mal gegeben hat, sollten Spekulanten eigentlich gewarnt seien (aber wie sagtest Du mal: "Gier frisst Hirn". Das sollte aber nicht der einzigste Weg zum Abnehmen sein).

Im Anhang 3 Kippermünzen aus dem Jahr 1623 aus Brandenburg Preussen in versilbertem Kupfer.
Vor Jahren war so etwas Münzschrott, heute ist es ein Vermögen, da die Kipperzeit mehr in das Bewußtsein der Sammer gerückt ist.
 

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