Die Reichsgründung aus französischer Perspektive - 5 Francs "Camélinat"

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Die Gründung des Deutschen Reichs im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles am 18.01.1871 durch die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm zum Deutschen Kaiser ist –nicht nur für Sammler von Reichsmünzen- der Beginn einer Epoche von wirtschaftlichem Aufschwung, aber auch von Irrungen und Wirrungen in der deutschen Geschichte, die letztlich in der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, dem Ersten Weltkrieg, mündeten. Hierüber ist viel geschrieben worden. Es wäre wahrscheinlich für das junge Reich, aber auch für Europa besser gewesen, wenn die Kaiserproklamation sagen wir einmal in Frankfurt am Main stattgefunden hätte. Durch diese Hybris und auch durch die Annexion Elsass-Lothringens wurde der geschlagene „Erzfeind“ Frankreich ohne Not in der Stunde der größten Niederlage seiner Geschichte weiter gedemütigt. Aber so machte man Politik im 19. Jahrhundert, und nicht nur auf deutscher Seite. Napoleon I. hatte die Quadriga 1806 vom Brandenburger Tor demontieren und als Zeichen seines Triumphs über Preußen nach Paris bringen lassen. Bismarck hatte Frankreich im Gegenzug an einem Ort französischer nationaler Symbolkraft, dem Schloss des Sonnenkönigs Louis XIV, spüren lassen, wer fortan Kontinentaleuropa zu beherrschen gedachte. Als aufgeklärter Mensch möchte man sagen, dass es durch die seinerzeitigen Umstände der Reichsgründung irgendwann zwangsläufig zu einer neuen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich kommen musste, was dann ja leider auch geschah.

Ich möchte die Jahre 1870/71 und die Reichsgründung einmal aus französischer Sicht beleuchten und ein schlichtes Silberstück zu 5 Francs mit der Jahreszahl 1871 hier vorstellen und ins Zentrum meiner historisch-numismatischen Betrachtungen stellen.

Vorab möchte ich den historischen Hintergrund kurz skizzieren, damit auch ein geschichtlich nicht so bewanderter Leser folgen kann. Nachdem in den 1860er Jahren des 19. Jahrhunderts die nationale Bewegung in Deutschland auch unter dem Eindruck der Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Befreiung Deutschlands von Napoleon I. übermächtig geworden war, arbeitete Otto von Bismarck, seines Zeichens preußischer Ministerpräsident, gezielt auf eine Reichsgründung hin. Erst sollte sie unter Beteiligung Österreichs erfolgen, was von Österreich (-Ungarn) nicht gewollt war. Nach dem Deutsch-Österreichischen Krieg 1866 wurde daher die sog. „kleindeutsche“ Lösung politisch favorisiert. Es gab allerdings noch einen Stolperstein: Frankreich. Napoleon III, Neffe des großen Korsen, hatte, ganz der Onkel, im Wege eines Staatsstreichs das 2. Kaiserreich installiert und vertrat den Standpunkt, dass Frankreich die vorherrschende Militär- und Wirtschaftsmacht des Kontinents sein müsse. Preußen war aus französischer Sicht schon eine Zumutung, der Gedanke, dass Preußen in einem größeren und mächtigeren Deutschland aufgehen könnte, war für das Empire schlechterdings nicht zu tolerieren. Bismarck wusste, dass die Gründung eines Deutschen Reichs nur nach einer militärischen Niederlage Frankreichs möglich sein würde. Er verstand es geschickt, den Stolz des Kaisers und der Grande Nation so zu kränken (Emser Depesche), dass Frankreich sich zu einer Kriegserklärung an den Norddeutschen Bund hinreißen ließ. Das Empire stand ohnehin durch eine Serie von außenpolitischen Misserfolgen mit dem Rücken zur Wand, und Napoleon III. selbst stand innenpolitisch stark unter Druck, so dass ein Krieg mit Preußen aus französischer Sicht durchaus gelegen kam, um dem Kaiser endlich die Anerkennung zu verschaffen, die er zu benötigen meinte.
<O:p
Die französischen Hoffnungen, dass Preußen isoliert dastehen würde, erfüllten sich nicht. Die großen Staaten Württemberg, Baden, Bayern und Sachsen traten umgehend auf der Seite Preußens in den Krieg ein. Dessen Verlauf ist schnell geschildert. Preußen und seine Verbündeten machten blitzschnell mobil und stellten in einer ersten Welle über 400.000 Mann ins Feld, wohingegen die kaiserlich-französische Armee nur gut die Hälfte an Truppen mobilisieren konnte. Die französischen Gewehre waren den preußischen hoch überlegen. Frankreich hatte auch die Mitrailleuse, Vorläufer des Maschinengewehrs, als Geheimwaffe. Preußen hatte jedoch, und das war kriegsentscheidend, die zahlenmäßig und in Punkto Reichweite haushoch überlegene Artillerie aus dem Hause Krupp. Die deutschen Armeen griffen buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste an, während das französische Oberkommando noch davon träumte, Frankfurt als Wirtschaftszentrum zu besetzen. In äußerst blutigen Grenzschlachten in Lothringen gelang es den Bundestruppen, die französische Rheinarmee in die Festung Metz zu drängen, wo sie später belagert und völlig demoralisiert kapitulierte. Das preußische Gardekorps soll in der größten Schlacht des Krieges bei Gravelotte (St. Privat) über 7000 Mann an Toten und Verwundeten in einer halben Stunde verloren haben. Keine drei Wochen später kapitulierte Napoleon III. bei Sedan mit 100.000 Mann seiner Hauptarmee. Perdu.

Damit war der Krieg allerdings noch nicht vorbei. Paris wurde durch die preußische Armee belagert, die provisorische französische Regierung verlegte die Hauptstadt nach Bordeaux und war entschlossen, den Krieg mit allen Mitteln fortzusetzen. Sie wurde bald eines besseren belehrt und sah ein, dass der Krieg endgültig verloren war. Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen begannen. In dieses Machtvakuum fiel sodann der berühmte Aufstand der Pariser Kommune im März 1871. Aus Angst, die Monarchie könnte wiederhergestellt werden, stellte sich die Hauptstadt gegen das restliche Frankreich. Das Phänomen der Kommune ist viel zu vielschichtig, um es hier auch nur anreißen zu können. Es war m.E. aber nicht der kommunistische Arbeiteraufstand nach Lesart von Marx und Engels, sondern eine höchst inhomogene Bewegung. Die Kommune war für die Regierung der Nationalen Verteidigung ohne jegliche Legitimation und wurde durch französische Regierungstruppen im Mai 1871 mit preußischer Waffenhilfe blutig niedergeschlagen. Die sog. Blutwoche (semaine sanglante) im Zuge der Erstürmung der Hauptstadt durch die französische Armee im Mai 1871 soll bis zu 30.000 Menschenleben gekostet haben. Auch danach hing das politische Schicksal Frankreichs zwischen Monarchie und Republik noch geraume Zeit am seidenen Faden, bis die Royalisten sich auch politisch geschlagen geben sollten.

Nach so viel Geschichtsunterricht nun zum numismatischen Teil. Im letzten Jahr habe ich mir einige Spiele der aus deutscher Sicht leider verkorksten Fußball-EM in Dortmund gemeinsam mit meiner Tochter, die dort studiert, auf dem Friedensplatz angeschaut. Vor der Partie Deutschland ./. Holland war ich in einer Münzhandlung und sah dort eher beiläufig ein 5 Francs-Stück von 1871. Ich hatte mich zuvor nicht sonderlich für französische Münzen interessiert. Aber das Datum hinterließ gleich Assoziationen bei einem passionierten Reichsmünzensammler wie mir und weckte mein latentes Interesse. Zunächst ging es allerdings um Wichtigeres, nämlich die EM. Also ließ ich das Stück dort, wo es war, genoss unseren Sieg über die Niederlande und fuhr glücklich und zufrieden nach Hause. Dort googelte ich spät abends noch ein wenig zur Geschichte der Reichsgründung und besagter Münze und stieß bei meinen Recherchen auf einen Krimi, der mich sofort fesselte. Im Wirrwarr des Sturzes von Napoleon III. und der Proklamation der Republik unter dem „Gouvernement de Défense Nationale“ gab es diverse Münztypen zu 5 Francs und auch eine spannende Geschichte, die mir vollkommen neu war. Die Pariser Kommune prägte im Jahre 1871 Stücke zu 5 Francs mit der Herkules-Gruppe, einem berühmten Bildnis von Dupré aus den Tagen der Revolution von 1789) auf der Vorderseite. Diese Stücke (vgl. Le Franc 334/3 und 334/4) unterschieden sich nur durch eine Petitesse von den amtlichen Herkules-Ausgaben. Der Direktor der Münze in Paris, ein Herr Zéphyrin Camélinat, hatte einen Dreizack als sein Zeichen gewählt im Gegensatz zu seinem Vorgänger und Nachfolger, der die Biene als sein Zeichen wählte. Ich wusste, dass es sich bei dem Stück, das ich in Dortmund gelassen hatte, um ein 5 Francs „Hercule“ handelte. Ob mit Dreizack oder mit Biene, war mir natürlich entgangen.
</O:p
Am nächsten Tag stand für mich ein Betriebsausflug auf dem Programm, obwohl ich viel lieber nach Dortmund gefahren wäre. Denn, so brachte ich noch in Erfahrung, ein „Camélinat“ kostet selbst in schlechter Erhaltung etwa € 500,-. Das Stück, was ich gesehen hatte, war gut erhalten... . Am folgenden Samstag düste ich mit Herzklopfen nach Dortmund und ließ mir das zwischenzeitlich zum Objekt meiner Begierde gewordene Exemplar erneut zeigen. Es trug...den Dreizack als différent. Dieses Mal kam es natürlich mit.

Die Geschichte dieser Münze ist hochinteressant. Ich habe sie aus zahlreichen Quellen, die mir über das Internet zugänglich waren, recherchiert. Im belagerten Paris fehlte es an Geld, so dass Monsieur Camélinat 5 Francs-Stücke prägen sollte. Es gab nicht genug Silberbarren bei der Banque de France, so dass angeblich noch Geschirr des abgedankten Kaisers aus den Tuillerien eingeschmolzen wurde. Faszinierend: Mein „Camélinat“ war einmal eine Tasse, aus der Napoleon III mit seiner Göttergattin Eugénie Mocca getrunken hat. Die Prägung erfolgte in 10 Tagen während der 3. und 4. Maiwoche des Jahres 1871, als die Kommunarden bereits den Todeskampf auf den Barrikaden starben. Die offizielle Prägezahl aus den Büchern der Pariser Münze beläuft sich auf 256.410 Exemplare.

Nachdem man Paris wieder in die staatliche Ordnung der französischen Republik integriert hatte, fand man große Teile der Auflage (etwa ¾), da der Zusammenbruch der Kommune offenbar so schnell erfolgte, dass eine vollständige Ausgabe der Stücke nicht mehr möglich war. Da die Regierung die Kommunarden als Aufständische betrachtete und ihnen jegliche Legitimation absprach, handelte es sich juristisch wohl unangreifbar um Falschgeld, da ohne staatlichen Prägeauftrag hergestellt. Es wurden konsequenter Weise sodann alle verbliebenen Stücke im Werte von rund 900.000 Francs eingeschmolzen, so dass etwa 75.000 Exemplare in Umlauf gelangt sein müssen. Damit ist der „Camélinat“ an sich kein besonders seltener Typ. Man muss aber bedenken, dass die Unterscheidung der Rebellenfrancs von den Regierungsfrancs schwierig ist und viele Stücke schlicht im Verkehr verschlissen worden sind. Das Standardwerk Le Franc verzeichnet, dass es sich um einen mit am schlechtesten erhaltenen Typ aus dieser Epoche handelt. Es gibt zwei Varianten, mit normaler Jahreszahl und Lücke zwischen der Jahreszahl 187 1. Letztere Variante, so auch mein nachfolgend abgebildetes Stück, soll noch etwas seltener sein. Die Faszination dieses Stückes ist aber primär seine faszinierende Geschichte, und die lassen sich Sammler scheinbar seit jeher etwas kosten.

Eine Erhaltungsdiskussion möchte ich an dieser Stelle nicht führen. Es handelt sich ohne Zweifel um eine für diesen Münztyp weit überdurchschnittliche Erhaltung. Das reicht mir in materieller Hinsicht voll und ganz. Und in ideeller Hinsicht ist dieses Stück ohnehin nicht zu bezahlen. Es hat mich auch dazu bewogen, mein Auge auf das eine oder andere französische 5 Francs-Stück zu werfen. Gerade die Herkulesstücke der Jahre 1873 und 1875 bekommt man dank riesiger Auflagen in Toperhaltung für kleine Münze. Ich stelle mir manchmal vor, wie es wäre, wenn man auch Reichssilber aus diesen Jahren in fast Stempelglanz für € 70,- erwerben könnte. Vielleicht langweilig...

<O:p<O:pGrüße, Thomas
 

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Vielen Dank für diesen hochinteressanten Beitrag.
Ich benutze mal die Gelegenheit, meinen französischen 71er einzustellen, den ich mir ebenfalls aus dem Grund zugelegt habe, in der Sammlung zu dokumentieren, wie es links des Rheins weiterging.
Auch wenn Frankreich " Leipzig/Einundleipzig " verloren hat, in numismatischer Hinsicht steht die 3. Republik mit ihren eleganten Geprägen auf der Seite der Sieger.
 

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Ja, die Stücke sind in der Tat schön. Ich mag besondes die Herkules-Gruppe und ihre Revolutionssymbolik: Herkules, der Starke, mit der Madame Liberté (à gauche) und Madame Égalité (a droite). Aber Deine Madame Cérès ist auch sexy. Die Aristokraten an die Bratspieße! Vive la France!

Gruß, Thomas
 
Sehr interessant.. habe mich schon immer für geschichtliches interessiert und bedanke mich für diesen Beitrag :)
 
Ich ergänze die Bilder um zwei 5 Francs der Provisorischen Regierung 1870-1871.

Die damals heiß umkämpften Spicherer Höhen sind von hier gerade mal 20 km entfernt. Zu diesen Höhen passt die Geschichte der tapferen "Schultze Kathrin".

Katharine Weißgerber

http://www.*******-schaumberg.de/fileadmin/user_upload/Bilder/saargeschichten/pdf.-Dateien/DID_2_11.pdf

Viele Grüße
Hermann
 

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