Sonntag, 17.10.2021
Nach dem Frühstück gibt es erst einmal noch einen kleinen Spaziergang durchs Zentrum, bevor ich weiter nach Süden aufbreche. Das Ziel ist Göygöl (Aserbaidschaner lieben Umlaute). Ich hatte schon in Georgien einen kleinen Ausflug in die deutsche Geschichte Unternommen – hier wird er nun fortgesetzt. In den napoleonischen Kriegen und dem Jahr ohne Sommer, 1816, ging es vielen Europäern nicht so besonders gut. Insbesondere im Schwäbischen sind daraufhin einige pietistische Strömungen entstanden, die eine neue Heimat gesucht haben. Da kam die Einladung des russischen Zaren gerade Recht, der die neuerworbenen Kaukasusregionen besiedeln wollte. Kommen durfte jedoch nicht jeder, man musste ein paar Voraussetzungen erfüllen, wie etwa ein Handwerk, insbesondere den Weinbau, zu beherrschen, sowie über ein Startkapital von 300 Gulden verfügen. Es war also der klassische Mittelstand, der in den Kaukasus ausgewandert ist. Nahe Jelisawetapols, dem heutigen Ganja, wurde Helenendorf gegründet. Die Namenspatronin war Elena Petrowna, Tochter des Zaren und seiner Frau, die ebenfalls aus Württemberg stammte.
Ganja
Shah Abbas Moschee und türkisches Bad in Ganja
Die deutschen Siedlungen haben ziemlich prosperiert, besonders ihr Wein und Cognac waren begehrt. Mit dem ersten Weltkrieg und verstärkt der Gründung der Sowjetunion brachen schwere Zeiten für die als Kulaken gebrandmarkten feindlichen Subjekte an. Schon in den 1930er Jahren gab es landesweite Deportationen, doch spätestens 1941 wurden der Großteil der letzten verbliebenen Deutschen nach Kasachstan umgesiedelt. 2007 starb der letzte Deutsche im Ort.
Das deutsche Erbe wird mittlerweile wieder für den Tourismus vermarket und es gibt zahlreiche Hinweistafeln im Ort. Die Häuser unterscheiden sich deutlich vom üblichen aserbaidschanischen Ortsbild, entsprechen aber nicht mehr dem Originalzustand. Da wurde viel kaputtsaniert, um ein vermeintlich hübsches Ortsbild zu schaffen.
In der lutherischen Kirche ist ein kleines Museum eingerichtet. Als ich es besuchen wollte, stand ich vor verschlossener Tür. Doch als ich schon kehrt machte, knarrte ein Schlüssel im Schloss und ein junger Uniformierter öffnete erfreut. Mit minimalsten Brocken Englisch führte er mich an den paar Vitrinen vorbei. Wahrscheinlich bin ich der erste Besucher seit Ewigkeiten – und dann noch ein deutscher. Das schreit schon fast nach Dorffest!
Nachdem ich dann die Straßen noch einmal auf und ab gegangen bin, ging es auch schon weiter. Den idyllischen Göygöl-Bergsee lasse ich links liegen, denn für den Abend hatte ich noch eine Verabredung und musste schnell weiter. Nur für einen kurzen Zwischenstopp in Bərdə reicht die Zeit noch. Die Stadt hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Gegründet vor 1.500 Jahren von den Sassaniden, später ein Zentrum Albaniens und schließlich sogar vom Kiewer Rus erobert, verlor sie nach und nach an Bedeutung. Allerdings hat ein wirklich schönes Mausoleum aus dem 14. Jh. die Zeit überdauert. Es kommt architektonisch schon sehr an die Schönheit der Mausoleen in Nakhichevan, dem von einem albanischen Korridor getrennten autonomen Teil Aserbaidschans. U. a. das Grab Noahs soll sich dort befinden. Für wen das Grab in Bərdə errichtet wurde, ist jedoch leider nicht mehr bekannt.
Bərdə Türbesi
Freitagsmoschee, Bərdə
Schließlich geht es weiter quer durchs Land bis zum kaspischen Meer. Einen Schlenker zur iranischen Grenze versage ich mir, auch wenn es sicher spannend gewesen wäre, das dortige brennende Wasser zu sehen, eine Quelle, die stark mit Methan versetzt ist.
Keine Sorge, das ist einfach nur der Gegenzug
Ölplattformen am kaspischen Meer. Vor der Küste gibt es regelrechte Städte auf dem Wasser, ab 1948 die weltweit ersten Offshore-Bohrinseln. Ganze Wohnblocks, Kultureinrichtungen, Kraftwerke und Parks wurden auf Stelzen errichtet und mit 300 km Straße verbunden. Neft Daşları, die Erdölfelsen, sind die größte Bohrinsel der Welt. Leider konnte ich sie nicht besuchen.
Stattdessen wühle ich mich durch den Bakuer Berufsverkehr und suche das Büro der Autovermietung. Rückgabe erfolgt Problemlos, ebenso die Abholung durch meinen Guide Said, der mich zum Hotel in der Altstadt bringt. Ich bin ganz froh, dass ich mich für diese Variante entschieden habe, denn der Verkehr ist heftig.
Für den Abend habe ich mir einen besonderen Höhepunkt ausgesucht, bzw. aussuchen lassen. Mein Guide meinte, ich solle unbedingt das Aserbaidschanische Staatliche Akademische Opern- und Balletthaus besuchen. Zuerst war ich ein wenig skeptisch, ob ich meine kostbare Zeit in Baku dafür opfern sollte. Doch es hat sich eindeutig gelohnt. Zwar war die Jugendstilfassade gerade eingerüstet, doch der opulente Saal war definitiv sehenswert. Vom Ballett selbst ganz zu schweigen. Es war mein erster Ballettbesuch überhaupt und es hat mir gefallen. Gespielt wurde „Min bir gecə“ – 1001 Nacht, ein Ballett von 1979. Inhalt war die Rahmengeschichte von Sheherazade und Shahrirar, sowie Sindbad, Aladin und Ali Baba. Wenn man die Geschichte nicht kennt, ist es sicher nicht so einfach dem Inhalt zu folgen, aber glücklicherweise habe ich gerade im letzten Schuljahr genau dieses Thema im Unterricht behandelt. Es waren wirklich schöne Bilder und wahrlich beeindruckend, was für eine Körperspannung, Kraft und Leichtigkeit die Tänzer hatten!
Interessant war aber auch, wie hier alles von der deutschen Regelungsmanie abwich – während der Vorstellung wurde munter darauf los fotografiert und gefilmt.
Nach der Vorstellung ging es dann zu Fuß vorbei an den Palästen des Ölbooms zurück zur Altstadt, lecker Abendessen und ab ins Bett… der morgige Tag wird lang!
Dolma - gefüllte Weinblätter
Zeitreise - ich bin nicht der erste aus meiner Familie, der Baku besucht. Bereits meine Eltern waren 1984 mit dem Rucksack unterwegs. Sie waren in Mittelasien (Buchara, Samarkand, ...) und sind mit dem Schiff über das kaspische Meer nach Baku gekommen. Seit dem hat sich einiges verändert.
Nach dem Frühstück gibt es erst einmal noch einen kleinen Spaziergang durchs Zentrum, bevor ich weiter nach Süden aufbreche. Das Ziel ist Göygöl (Aserbaidschaner lieben Umlaute). Ich hatte schon in Georgien einen kleinen Ausflug in die deutsche Geschichte Unternommen – hier wird er nun fortgesetzt. In den napoleonischen Kriegen und dem Jahr ohne Sommer, 1816, ging es vielen Europäern nicht so besonders gut. Insbesondere im Schwäbischen sind daraufhin einige pietistische Strömungen entstanden, die eine neue Heimat gesucht haben. Da kam die Einladung des russischen Zaren gerade Recht, der die neuerworbenen Kaukasusregionen besiedeln wollte. Kommen durfte jedoch nicht jeder, man musste ein paar Voraussetzungen erfüllen, wie etwa ein Handwerk, insbesondere den Weinbau, zu beherrschen, sowie über ein Startkapital von 300 Gulden verfügen. Es war also der klassische Mittelstand, der in den Kaukasus ausgewandert ist. Nahe Jelisawetapols, dem heutigen Ganja, wurde Helenendorf gegründet. Die Namenspatronin war Elena Petrowna, Tochter des Zaren und seiner Frau, die ebenfalls aus Württemberg stammte.
Ganja
Shah Abbas Moschee und türkisches Bad in Ganja
Die deutschen Siedlungen haben ziemlich prosperiert, besonders ihr Wein und Cognac waren begehrt. Mit dem ersten Weltkrieg und verstärkt der Gründung der Sowjetunion brachen schwere Zeiten für die als Kulaken gebrandmarkten feindlichen Subjekte an. Schon in den 1930er Jahren gab es landesweite Deportationen, doch spätestens 1941 wurden der Großteil der letzten verbliebenen Deutschen nach Kasachstan umgesiedelt. 2007 starb der letzte Deutsche im Ort.
Das deutsche Erbe wird mittlerweile wieder für den Tourismus vermarket und es gibt zahlreiche Hinweistafeln im Ort. Die Häuser unterscheiden sich deutlich vom üblichen aserbaidschanischen Ortsbild, entsprechen aber nicht mehr dem Originalzustand. Da wurde viel kaputtsaniert, um ein vermeintlich hübsches Ortsbild zu schaffen.
In der lutherischen Kirche ist ein kleines Museum eingerichtet. Als ich es besuchen wollte, stand ich vor verschlossener Tür. Doch als ich schon kehrt machte, knarrte ein Schlüssel im Schloss und ein junger Uniformierter öffnete erfreut. Mit minimalsten Brocken Englisch führte er mich an den paar Vitrinen vorbei. Wahrscheinlich bin ich der erste Besucher seit Ewigkeiten – und dann noch ein deutscher. Das schreit schon fast nach Dorffest!
Nachdem ich dann die Straßen noch einmal auf und ab gegangen bin, ging es auch schon weiter. Den idyllischen Göygöl-Bergsee lasse ich links liegen, denn für den Abend hatte ich noch eine Verabredung und musste schnell weiter. Nur für einen kurzen Zwischenstopp in Bərdə reicht die Zeit noch. Die Stadt hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Gegründet vor 1.500 Jahren von den Sassaniden, später ein Zentrum Albaniens und schließlich sogar vom Kiewer Rus erobert, verlor sie nach und nach an Bedeutung. Allerdings hat ein wirklich schönes Mausoleum aus dem 14. Jh. die Zeit überdauert. Es kommt architektonisch schon sehr an die Schönheit der Mausoleen in Nakhichevan, dem von einem albanischen Korridor getrennten autonomen Teil Aserbaidschans. U. a. das Grab Noahs soll sich dort befinden. Für wen das Grab in Bərdə errichtet wurde, ist jedoch leider nicht mehr bekannt.
Bərdə Türbesi
Freitagsmoschee, Bərdə
Schließlich geht es weiter quer durchs Land bis zum kaspischen Meer. Einen Schlenker zur iranischen Grenze versage ich mir, auch wenn es sicher spannend gewesen wäre, das dortige brennende Wasser zu sehen, eine Quelle, die stark mit Methan versetzt ist.
Keine Sorge, das ist einfach nur der Gegenzug
Ölplattformen am kaspischen Meer. Vor der Küste gibt es regelrechte Städte auf dem Wasser, ab 1948 die weltweit ersten Offshore-Bohrinseln. Ganze Wohnblocks, Kultureinrichtungen, Kraftwerke und Parks wurden auf Stelzen errichtet und mit 300 km Straße verbunden. Neft Daşları, die Erdölfelsen, sind die größte Bohrinsel der Welt. Leider konnte ich sie nicht besuchen.
Stattdessen wühle ich mich durch den Bakuer Berufsverkehr und suche das Büro der Autovermietung. Rückgabe erfolgt Problemlos, ebenso die Abholung durch meinen Guide Said, der mich zum Hotel in der Altstadt bringt. Ich bin ganz froh, dass ich mich für diese Variante entschieden habe, denn der Verkehr ist heftig.
Für den Abend habe ich mir einen besonderen Höhepunkt ausgesucht, bzw. aussuchen lassen. Mein Guide meinte, ich solle unbedingt das Aserbaidschanische Staatliche Akademische Opern- und Balletthaus besuchen. Zuerst war ich ein wenig skeptisch, ob ich meine kostbare Zeit in Baku dafür opfern sollte. Doch es hat sich eindeutig gelohnt. Zwar war die Jugendstilfassade gerade eingerüstet, doch der opulente Saal war definitiv sehenswert. Vom Ballett selbst ganz zu schweigen. Es war mein erster Ballettbesuch überhaupt und es hat mir gefallen. Gespielt wurde „Min bir gecə“ – 1001 Nacht, ein Ballett von 1979. Inhalt war die Rahmengeschichte von Sheherazade und Shahrirar, sowie Sindbad, Aladin und Ali Baba. Wenn man die Geschichte nicht kennt, ist es sicher nicht so einfach dem Inhalt zu folgen, aber glücklicherweise habe ich gerade im letzten Schuljahr genau dieses Thema im Unterricht behandelt. Es waren wirklich schöne Bilder und wahrlich beeindruckend, was für eine Körperspannung, Kraft und Leichtigkeit die Tänzer hatten!
Interessant war aber auch, wie hier alles von der deutschen Regelungsmanie abwich – während der Vorstellung wurde munter darauf los fotografiert und gefilmt.
Nach der Vorstellung ging es dann zu Fuß vorbei an den Palästen des Ölbooms zurück zur Altstadt, lecker Abendessen und ab ins Bett… der morgige Tag wird lang!
Dolma - gefüllte Weinblätter
Zeitreise - ich bin nicht der erste aus meiner Familie, der Baku besucht. Bereits meine Eltern waren 1984 mit dem Rucksack unterwegs. Sie waren in Mittelasien (Buchara, Samarkand, ...) und sind mit dem Schiff über das kaspische Meer nach Baku gekommen. Seit dem hat sich einiges verändert.